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Vor dem Hintergrund gravierender Umwälzungen in den Arbeits- und Existenzformen moderner Gesellschaften und dem daraus resultierenden Verunsicherungserleben erfahren Diskurse und Praktiken der Rückbesinnung auf ein Leben in Übereinstimmung mit inneren und äußeren Anforderungen und im Einklang mit sich selbst eine starke Renaissance. Kulturhistorisch und kulturpsychologisch betrachtet existiert für diese Form der auf das eigene Leben gerichteten und auf Gestaltungsmacht abzielenden Reflexion eine tief im abendländischen Selbstverständnis und Menschenbild verankerte Tradition, die von Sokrates bis Foucault reicht.
In meinem Beitrag soll versucht werden, in welcher Weise die Metapher der Balance, des Gleichklangs und des Gleichgewichts diesen Diskurs mit konstituiert, weitergeführt und auch verändert hat. Anhand von ausgewählten Beispielen vor allem aus der Kunst und Philosophie der Antike, der Aufklärung und der Moderne soll untersucht werden, welche materialen und welche formalen Bestimmungsmerkmale der Balancemetapher jeweils herangezogen wurden und werden, um die Konzeption eines bewusst geführten, ausgeglichenen Lebens zu stützen und anzureichern. Auch Modi der Körpererfahrung und vor allem deren Verarbeitung in Kunst und Philosophie sollen Berücksichtigung finden.
Dabei wird sich unter anderem zeigen, dass von den Anfängen bis zur Gegenwart in immer stärkerem Maße abstrakte und formale, der Substanz und des anschaulichen, auch leiblich-sinnlichen Gehalts von Balance beraubte Vorstellungen die Gleichgewichtsmetapher und damit auch unsere Vorstellungen von einem Leben im Gleichklang beherrschten. So leidet das gegenwärtig weit verbreitete und große Resonanz findende Konzept von der Work-Life-Balance unter anderem an einem haarsträubenden Theoriedefizit und greift die Metapher vom Leben im Gleichgewicht rein formal auf. Auf diese Weise fungiert sie lediglich als ein weiteres Symptom der Individualisierung gesellschaftlicher Risiken und trägt zur Aufklärung moderner Lebenslagen substantiell nichts bei.